Foto vom Schwerbehindertenausweis und einer Broschüre

Einen Schwerbehindertenausweis beantragen

Bei der Antragstellung eines Schwerbehindertenausweises kann schon vieles schiefgehen. Ich halte es deshalb für sehr wichtig, bei der Antragstellung sehr sorgfältig vorzugehen und sich eine schriftliche Zusammenfassung seiner Einschränkungen und Symptome zusammenzustellen. Gleiches gilt für einen Antrag auf Höherstufung. Wie das geht beschreibe ich in dem nachfolgenden Artikel.

Genau genommen wird nicht der Schwerbehindertenausweis beantragt. Es handelt sich um einen Antrag auf Feststellung einer Behinderung. Gegebenfalls werden auch zusätzliche Merkzeichen beantragt. Die amtlich festgestellten Behinderung wird als Grad der Behinderung (GdB) festgestellt. Ab einem GdB von 50 zählt eine Behinderung als Schwerbehinderung und damit wird der Schwerbehindertenausweis ausgestellt. Bei einem GdB unter 50 erhält man nur einen Bescheid. Die häufig genutzte Bezeichnung als „Prozente“ ist veraltet und wird nicht mehr verwendet.

Unter der Überschrift „Was ist zu beachten beim Antrag auf Schwerbehinderung?“ beschreibe ich die Punkte, die entscheidend für das Ergebnis sind. Wer bei der Antragstellung sorgfältig ist, vermeidet in der Regel, dass später mit einem Widerspruch die Kohlen wieder aus dem Feuer geholt werden müssen.

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Häufige Fragen

Wo beantrage ich einen Schwerbehindertenausweis bzw. den Grad der Behinderung?

In jedem Bundesland gibt es eine eigene Behörde, bei der der Antrag auf Feststellung einer Behinderung gestellt wird. Je nach Bundesland sind die Versorgungsämter, Sozialämter, Landrätsämter und in Bayern das ZBFS zuständig. Eine Übersicht der in den einzelnen Bundesländern zuständigen Stellen findet man auf rehadat-adressen.de.

Wie stelle ich einen Antrag auf Festellung einer Behinderung?

Bei der zuständigen Stelle sind die Antragsformulare erhältlich. In der Regel gibt es auf der jeweiligen Internetseite das Formular als pdf zum ausfüllen oder ausdrucken. Einige Bundesländer stellen auch eine Möglichkeit bereit, um den Antrag online auszufüllen und ihn abzuschicken.

Beim Ausfüllen gibt es einiges zu beachten, das habe ich in der nächsten Frage zusammengefasst.

Was ist zu beachten beim Antrag auf Schwerbehinderung?

Es ist wichtig, dass der Antrag sorgfältig vorbereitet und ausgefüllt wird. Die Ämter können als Folge einer Antragstellung einen bereits festgestellten GdB auch herunterstufen. Deshalb stellt den Antrag wirklich nur, wenn ihr sicher seid, dass es seit der letzten Antragstellung gesundheitlich begründbare Verschlechterungen bei den persönlichen Einschränkungen im Alltag gab.

Je nach Bundesland sind unterschiedliche Antragsformulare in Gebrauch. Die meisten Formularfelder enthalten sehr einfach auszufüllende Informationen, wie z.B. erstmal die Adresse, Telefonnummer, Sozialversicherungsnummer, Krankenkasse und die Anschriften der behandelden Ärzte.

Grad der Behinderung und Merkzeichen eintragen

Dieser Punkt im Formular stresst bereits viele AntragstellerInnen, weil sie unsicher sind, was hier eingetragen werden soll. Das ist schade, denn den Stress kann man sich sparen. Letztendlich entscheidet das alleine der/die GutachterIn, der/die später den Antrag bearbeitet. Als AntragstellerIn kann man hier unbesorgt seinen angepeilten GdB eintragen, ebenso das Merkzeichen.

Krankheitsbezogene Fragen – die Begutachtung erfolgt nach Aktenlage

Bei den krankheitsbezogenen Fragen wird es schon aufwändiger. Zum einen werden die Daten der Krankenhaus- und Rehaaufenthalte der letzten Jahre erfragt und auch Angaben zu Arbeitsunfällen sind anzugeben. Bezüglich der Krankenhaus- und Rehaaufenthalten sollten die Angaben (Datum, Name der Klinik) möglichst genau erfolgen.

Sehr wichtig ist der Punkt Gesundheitsstörungen bzw. gesundheitliche Funktionsbeinträchtigungen/Behinderungen.

Hier kommen alle Diagnosen und Symptome rein und diese sollten ärztlich dokumentiert sein. Das heißt, sie sollten in den entsprechenden Arztberichten schriftlich ausformuliert sein. Die GutachterInnen der Behörde schätzen den zu vergebenden Grad der Behinderung (GdB) und Merkzeichen anhand der Aktenlage ein, d.h. anhand der vorhandenen ärztlichen Unterlagen. Sehr häufig haben die GutachterInnen für die Zuordung des GdB zu den Diagnosen und Symptomen einen Spielraum, der sich nach der Stärke der Symptome richtet.

Dem Antrag müssen deshalbt unbedingt die Kopien aller vorhandenen Arztberichte der letzten Jahre beigelegt werden.

Persönliche Begutachtungen finden bei der Feststellung der Behinderung nur in Ausnahmefällen statt.

Die Auswirkungen auf den Alltag entscheiden

Für die Feststellung des GdB werden nur die Diagnosen und Symptome einbezogen, die länger als ein halbes Jahr bestehen. Bei den meisten Diagnosen und Symptomen ist entscheidend, welche genaue Auswirkung sie auf den persönlichen Alltag haben.  Das betrifft auch unsichtbare Symptome und psychische Erkrankungen.

Bei einer Fortbildung des ZBFS, der zuständigen Behörde in Bayern, wurde empfohlen dem Antrag ein selbst verfasstes Beiblatt beizufügen. Dort soll beschrieben werden, wie die Symptome der jeweiligen Erkrankung sich konkret auf den Alltag auswirken. Dieses Beiblatt sollte dann auch der Hausarzt erhalten. Eine solche Beschreibung könnte eine komplettere Begutachtung der Unterlagen unterstützen.

Idealerweise soll diese Beschreibung die Einschränkungen mit messbare Angaben beschreiben, wie z.B.

  • … nach 500 Metern laufen benötige ich mindestens eine 5-minütige Pause, bevor ich weitergehen kann ..
  • … ich kann nur noch drei Liter Flaschen auf einmal hochheben …
  • … nach 30 Minuten Staubsaugen bin ich so erschöpft, dass ich mich auf das Sofa legen muss …

Hier ein Beispiel für die Beschreibung eines unsichtbaren Symptoms, die vorzeitige Erschöpfbarkeit (Fatigue), welches ich auch auf meinem Blog handicap-bazar.de nenne:

Fatigue

Ich arbeite in einem Supermarkt als Verkäuferin. An einem Arbeitstag, der um 5:40 Uhr beginnt bin ich um 12 Uhr erschöpft. Meine Konzentration, Aufmerksamkeit und Arbeitsgeschwindigkeit lassen extrem nach und ich benötige dringend eine Pause. An den freien Tagen stehe ich um 6 Uhr auf und meine Kinder gehen um 7 Uhr aus dem Haus. Anschließend erledige ich dringende Hausarbeiten wie z.B. Aufräumen, Staubsaugen, Geschirr und Wäsche waschen. Danach bin ich so erschöpft, dass ich ab ca. 11 Uhr bis ca. 13 Uhr schlafe. Da meine Kinder gegen 13:30 Uhr nach Hause kommen bin ich mit Kochen und Hausaufgabenbetreuung beschäftigt. Würde ich mir eine Pause gönnen können, dann würde ich sofort wieder einschlafen.

Wie wird der Grad der Behinderung berechnet?

Für die Ermittlung des GdB gibt es keine Berechnung. Die GutachterInnen ermitteln den GdB aus den einzelnen Schädigungsgraden (GdS), welcher den einzelnen Diagnosen, Symptomen und Einschränkungen in der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) festgelegt sind. Diese GdS Tabellen findet ihr auch auf diesem Blog oder könnt über die Suche in der Menüleiste nach den Diagnosen suchen.

Als Anhaltspunkt kann man die Grunderkrankung mit dem höchsten GdS heranziehen und hat damit schonmal eine Basis für den zu erwartenden Mindest-GdB. Die weiteren Einzel-GdS werden vom Gutachter dann gewichtet (nicht addiert), das bedeutet der gesamte GdB wird entsprechend der Stärke der einzelnen Beeinträchtigungen aufgestockt oder eben nicht. Deshalb ist die individuelle Beschreibung auf dem Beiblatt so wichtig.

Beeinträchtigungen, die komplett durch Hilfsmittel ausgeglichen werden, zählen übrigens nicht als Behinderung. Ein klassisches Beispiel dafür ist eine Brille, die eine Sehschwäche vollständig ausgleicht.

Den Antrag stellen oder nicht stellen?

Diese Frage stellen sich viele, wenn es um die erstmalige Beantragung eines GdB geht. Neben sachlichen Überlegungen ist die persönliche Einstellung zur Grunderkrankung  ein Punkt. Wie gut man es aushalten, wenn einem das Amt eine Behinderung schwarz auf weiß bescheinigt?

Oft wird befürchtet, dass sich eine Schwerbehinderung im Berufsleben als nachteilig auswirken kann. Das ist leider je nach Tätigkeit und Arbeitsklima tatsächlich möglich. Bei entsprechenden Befürchtungen besteht die Möglichkeit die Schwerbehinderung im Betrieb zu verheimlichen – dies verhindert leider jedoch die Inanspruchnahme der entsprechenden Nachteilsausgleiche, wie z.B. der Gewährung von einer Woche Sonderurlaub.

Laut einem Urteil des Bundessozialgerichtes hat der Arbeitgeber nach 6 Monaten das Recht die Schwerbehinderteneigenschaft (bei einem GdB ab 50) aktiv zu erfragen: Urteil BSG vom 16.2.2012, 6 AZR 553/10). Der Arbeitnehmer hat dann wahrheitsgemäß zu antworten.

Die Feststellung der Behinderung soll Nachteile ausgleichen, deshalb werden die damit verknüpften besonderen Rechte auch Nachteilsausgleiche genannt. Ein Mitarbeiter des ZBFS hat mir im Telefonat einmal gesagt, dass man ihn deshalb zur Not sogar zurückgeben könnte.

Titelfoto: ZBFS

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Über Jochen Radau

Studium der Sozialpädagogik in Würzburg und Studium der Medizintechnik in Ulm, seit 20 Jahren psychosozialer Berater bei der DMSG im Landesverband Bayern, dort auch Onlineberater. Betreiber und Redakteur dieses und weiterer Blogs zu den Themen Schwerbehinderung und Pflegeversicherung. Weiterqualifikationen in systemischer Beratung und vielen Themen des Sozialrechts.